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Butler in der Literatur

Der Butler ist niemals der Mörder - Der Butler in der Literatur

„Der Mörder ist immer der Butler“ soll Mary Roberts Rinehart, eine der kommerziell erfolgreichsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen einmal geäußert haben. Und wie wird man eine kommerziell erfolgreiche Schriftstellerin? Richtig, mit Kriminalromanen. In mehr als 30 Romanen und Theaterstücken, zehn Serien und unzähligen Kurzgeschichten meuchelte die Rinehart beinhart unschuldige Frauen und Männer. Butler hielt sie dabei für geborene Täter, weil diese so überaus unauffällig sind: Butler haben Zugang zu allen Räumen im Haus, sind im besten Wortsinn omnipräsent und bleiben trotzdem stets im Hintergrund verborgen. Sie drängen sich nicht auf. Sie sind unsichtbar, eben „gute Geister“ oder eben „böse Geister“, wenn die Autorin sie dazu bestimmt. Ihre Unsichtbarkeit macht sie zugleich allwissend. Tatsächlich sind Butler ja immer auch Geheimnisträger erster Güte. Niemand weiß mehr über die Herrschaften, als der Butler. Nur der Butler hat den Lord in Frauenkleidern gesehen.

Der russische Butler ist der neue Amerikaner

Einen würdigen Nachfolger hat Mary Roberts Rinehart heute in Grigori Schalwowitsch Tschchartischwili gefunden. Falls Sie von ihm noch nie gehört haben, muss Sie das nicht beunruhigen, denn er ist besser bekannt unter seinem Pseudonym Boris Akunin. Krimi-Fans kennen ihn überall auf der Welt, in Russland wiederum kennt ihn jeder. Seine Kriminalromane aus der Reihe Fandorin genießen dort Kult-Status. Eine seiner stärksten Figuren ist – Überraschung! – ein Butler mit Namen Afanasii Stepanowitch. Er ist ein Butler alter Schule: penibel, perfekt, gebildet und immer in der Lage, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Aber er ist auch Russe und deshalb unglaublich stolz auf seine gigantischen Koteletten.

B. Akunin hat sich sein Pseudonym nicht zufällig gewählt. Es erinnert an den großen russischen Anarchisten Bakunin. Nach mehreren kritischen Artikeln Akunins über Putin und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird er heute öffentlich nicht mehr in russischen Medien erwähnt. Die Bücher haben eine so hohe Auflage, dass man sie nur noch schwer unter die Ladentheke bringen kann. Aber den Namen des Autors kann man schon mal unterdrücken.

Butler stehen in der Literatur für Macht und Ordnung

In der Literatur spielen Butler eine herausragende Rolle. Sie verkörpern in der Regel Macht und Ordnung. Sie stehen häufig für Berechenbarkeit in unsicheren Zeiten. An ihnen arbeitet sich der Protagonist des Romans mit seinen Problemen ab. Dabei kann die Macht des Butlers gut oder böse sein. Häufig spielt der Butler nur eine Nebenrolle, aber es ist die wichtige Nebenrolle, an der sich der Protagonist reibt. Manchmal ist der Butler der Vertraute und Berater der Hauptfigur, der weise Ratschläge und Anleitung gibt. In anderen ist der Butler die Quelle der Erheiterung, indem er die Ereignisse der Geschichte humorvoll kommentiert. In anderen Fällen dient der Butler als Brücke zwischen der Welt der Reichen und der Welt der Arbeiterklasse und bietet eine einzigartige Perspektive auf beide. So wird er zum Moderator zwischen verschiedenen Welten oder zwischen Erzählung und Leser. Erst in jüngeren Werken wird er immer häufiger selbst zum Erzähler.

Nicht ohne ihn, Jeeves

Im Jahr 1915 erblickte einer der berühmtesten Butler das literarische Licht der Welt: In der Kurzgeschichte „Extricating Young Gussie“ ließ P.G. Wodehouse seinen Kammerdiener Reginald Jeeves zum ersten Mal die literarische Bühne betreten, die dieser bis 1974 nicht mehr verlassen sollte. Unter den zahlreichen Kurzgeschichten und Romanen ragt besonders der Roman „Ohne mich, Jeeves!“ heraus, der 1946 erschienen ist, und vom Guardian unter die 100 wichtigsten englischsprachigen Romane sortiert wird. Die Jeeves-Geschichten zählen zweifelsfrei zu den Klassikern britischen Humors und stehen für den hohen Stellenwert, den der Butler als komische Figur in der Literatur zukommt. Wodehouse darf übrigens sicherlich als der Butler-Experte unter den Schriftstellern dieses Planeten gelten. Neben Jeeves hat er immerhin nicht weniger als sechzig (!) weiteren Butlern-Kollegen als Geburtshelfer gedient.

Die Rolle des Butlers in der Literatur hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. An Jeeves, der als literarische Figur immerhin sechzig Jahre (nicht) gealtert ist, kann man das ganz gut nachvollziehen. Der Butler in der Literatur wurde vom statischen Repräsentanten der Macht und Ordnung über den Vermittler zunehmend zum aktiven „Helden“ des Romans, zum Rollenspieler, der selbst im Mittelpunkt des Werks steht.

Der moderne Butler im Roman: Was vom Tage übrig bleibt

In „Was vom Tage übrig bleibt“ stellt der Autor Kazuo Ishiguro den Butler Stevens als Erzähler in den Mittelpunkt seines 1989 erschienen Romans. Stevens ist ein Butler – äh – wie er im Buche steht: perfekt, pflichtbewusst, ordentlich, tadellos, verschwiegen. Er hat sein ganzes Leben völlig in den Dienst seines Herrn Lord Darlington gestellt. Der alte Lord – der in unseligen Jahren mit den Nazis kollaborierte – stirbt und Mr. Farraday, ein humorvoller U.S.-Amerikaner übernimmt das edle britische Anwesen – shocking! – und den treuen Diener – not amused! Als der neue Chef für einige Zeit in die U.S.A. zurückkehrt schickt er den Butler in Urlaub. Der erhält Post von Miss Kenton, der früheren Haushälterin des seligen Lords, die zurück nach Darlington Hall möchte. Der treue Stevens kümmert sich und stellt zu seiner absoluten Überraschung fest, dass er Gefühle, ein Herz und andere Dinge mehr hat, die sich der alten Haushälterin entgegen recken. Es entspinnt sich eine anrührende Liebesgeschichte, die an den Fesseln von Macht und Ordnung rütteln. Die Macht der Gefühle im britischen Landleben. Der Roman, der den Tagesablauf eines Butlers wundervoll subtil nachzeichnet, ist ganz großartig – die Verfilmung mit Antony Hopkins als Butler James Stevens ebenfalls – und hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass Kazuo Ishiguro vor sechs Jahren mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.

Butler in der Literatur sind die stets Unbegriffenen

Eines, so scheint mir, haben alle Butler in der Literatur gemein, vom schrägen Butler Betteredge aus Wilkie Collins Moonstone von 1868 bis zu Butler Stevens von 1989: sie sind geradezu transluzent, irgendwie unfassbar. Egal, ob sie wie Butler Wickham gleich zu Beginn des Romans „Der Butler“ von Henry Green im See ertränkt werden oder ob sie wie James am Ende mit Miss Sophie in Dinner for One Rückgrat zeigen – sie bleiben auf eigentümliche Weise unbegreiflich. Entweder tritt ihre Persönlichkeit hinter derjenigen ihrer Herrschaft völlig zurück, oder sie sind in ihrer Spätbürgerlichkeit geworfene Nicht-Subjekte. In der Literatur haben sie die Phase des bürgerlichen Heldentums verpasst. Zur Hauptrolle haben sie es erst geschafft, als die Helden ausgedient hatten. Das ist das Butlerlos.

Illustrationen © Helder Almeida – stock.adobe.com

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